Bekennerschreiben
Am 17. September 2013 wurde der
Musiker und Antifaschist Pavlos Fyssas von einem Mitglied der nazistischen
Partei Goldene Morgenröte auf offener Straße erstochen. Der Täter wurde sofort
nach der Tat verhaftet. Sein Opfer konnte ihn noch identifizieren, obwohl dies,
laut Augenzeugen, nicht notwendig gewesen wäre, da der Mord allen Anscheins vor
den Augen der Polizei geschah.
Der Mord zwang Justiz und Staat
gegen die Goldene Morgenröte vorzugehen. Diese bestritt jegliche Verbindung zum
Täter, auch wenn dieser nachweisbar Mitglied der Partei war, ein Gehalt von ihr
bezog und auf Fotos mit dem engen Kader zu sehen war. Gleichzeitig erklärten
Mitglieder der Organisation, dass man befürchte, die rechtlichen Schritte die
gegen sie unternommen wurden und die öffentliche Empörung könnten dazu führen,
dass sie zu Zielen linker Gewalt würden. Diese blieb jedoch aus.
Am 1. November wurden dann zwei
junge Männer, Mitglieder der Goldenen Morgenröte, vor den Büros der Parteiorganisation
in Neo Irakleio (einem Stadtteil Athens) erschossen. Die Goldene Morgenröte
erklärte, man habe die Polizei wenige Tage vorher informiert, dass es Gründe
gebe, einen Anschlag auf gerade diese Büros zu befürchten. Auch wurde der
Verlauf des eindeutig durch linksextreme Terroristen durchgeführten Attentats, detailliert
beschrieben. Die Goldene Morgenröte hatte ja, zur Sicherung ihrer Büros,
Überwachungskameras installiert. Auf dem Video sei der Mord ganz klar zu sehen:
die Täter hätten versucht die höchstmögliche Zahl an Opfern zu erreichen und
ihre Waffen in die zwei Opfer gelehrt. Denen dann, während sie schon am Boden
lagen, noch den Gnadenschuss gegeben.
Das Video wurde der Polizei
überreicht, und Polizei und Medien stimmten mit der Goldenen Morgenröte überein:
das Attentat sei der linksextremen Szene zuzuschreiben. Dann begann die Polizei
ihre Ermittlungen. Einige Tage später veröffentlichte sie auch das
Überwachungsvideo. Es wurde von allen Sendern in einer Endlosschleife gezeigt. So
verwerflich es ist, wahre Mordtaten im Fernsehen zu zeigen, man kam an dem Tag kaum
darum herum dieses Video zu sehen. Doch was auf dem Video zu sehen war stimmte
nicht mit dem was die Goldene Morgenröte beschrieben hatte überein:
Vier junge Männer stehen an einer Straßenecke. Etwas geschieht. Zwei
beginnen wegzurennen. Vom unteren Bildrand erscheint ein Mann mit Pistole. Er
schießt in die Richtung der Flüchtenden, wendet sich dann dem ersten Opfer zu,
feuert mehrere Male. Das erste Opfer geht zu Boden. Der Täter steht über ihm
und schießt weiter auf den am Boden liegenden. Das zweite Opfer, anscheinend
unter Schock, steht reglos dabei. Der Täter schaut auf, feuert zwei Mal auf das
zweite Opfer, dann wieder auf den schon am Boden liegenden und flieht.
Laut Spurensicherung wurde zwölfmal
auf die beiden Opfer geschossen; einmal auf die beiden Männer die fliehen
konnten. Anhand des Videos würde das bedeuten, dass auf Opfer eins zehnmal
geschossen wurde, auf Opfer zwei nur zweimal. Nach Veröffentlichung des Videos
gibt die Polizei bekannt, sie würde einen politisch motivierten Terroranschlag
nun doch ausschließen. Alles deute darauf hin, dass die Opfer nicht wegen ihrer
Mitgliedschaft in der Organisation erschossen wurden. Auch ein
Bekennerschreiben fehlte.
Und so wendeten sich die Medien
wieder einem anderen Thema zu. Bis in der Nacht vom 15. auf den 16. November ein
vermeintlicher Bombenanschlag auf die Büros einer rechten Internetseite stattgefunden
haben soll. Doch die Polizei dementierte dies bald; die Spurensicherung fand
nicht die kleinste Spur einer Explosion. Für großes Aufsehen sorgte der Vorfall
deswegen nicht. Die Nachricht, die die Öffentlichkeit erhielt, ließ sich auf „Es gab gestern Nacht keine
Explosion“ reduzieren.
Doch dann wurde doch noch für
Aufsehen gesorgt. Am selben Tag, um 16:50, nur einige Stunden nachdem die
Medien mit dem vermeintlichen Bombenanschlag abgeschlossen hatten, erklärte die
Internetseite „Zougla“ (übersetzt: Dschungel) man hätte sie informiert, wo das
Bekennungsschreiben zum Attentat des 1. Novembers zu finden sei. Zougla ist die
rechtspopulistische Internetseite des Journalisten Makis Triantafyllopoulos,
der sich gerne als Enthüllungsjournalist darstellt.
Die Polizei stellte den USB-Stick
mit dem Bekennerschreiben sicher und erklärte kurze Zeit später den achtzehn
Seiten langen Text für authentisch. Eine bisher unbekannte linksextreme Terrorgruppe,
die „Militanten Revolutionären Volkskräfte“ (die Bild übersetzte sie als
Kämpfende revolutionäre Volkskräfte), habe die Verantwortung für das Attentat
übernommen.
Am Montag ging man dann ins Detail. Laut
Polizeibericht sei das Schreiben authentisch. Es würde sich vom Stil stark von
den Bekennerschreiben anderer linker Terrorgruppen unterscheiden. Der Text
würde ein breites linkes Wissen beinhalten und man könne daraus schließen, dass
der Autor älter sei und dem linken politischen Spektrum angehören würde. Des Weiteren
könne man ausschließen, dass der Autor in unmittelbarer Verbindung zum Attentat
stand; aus dem Schreiben ginge hervor, dass er sich der Details des Doppelmordes
nicht bewusst gewesen sei.
In linken Kreisen bezweifelt man
dies jedoch, denn der Text passt nicht so richtig zur Linken. So werden zum
Beispiel Hintergründe und Personen ausführlich erklärt, die ein linker Autor
für selbstverständlich gehalten hätte. Auch die Tatsache, dass sich die
Organisation am 16. November der Tat bekennt, scheint seltsam, wo doch der 17. der
für die griechische Linke und die antifaschistische Bewegung in Griechenland
wichtigste Feiertag ist. So war die bekannteste linksextreme
Terrororganisation, die „Revolutionäre Organisation 17. November“ (kurz: 17.
November) nach diesem Tag benannt. Wenn diese neue Organisation schon zwei
Wochen mit ihrem Bekennungsschreiben wartet, hätte es dann nicht Sinn ergeben
noch den einen Tag zu warten und so ihr Erscheinen durch den historischen
Kontext des Feiertages zu stärken?
Ausschließen kann man aber nicht, dass auch wenn
der Autor kein Linker ist, er sich für einen hält.
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