Dienstag, 12. November 2013

Trauer und Bedauern



Die Ermordung der zwei jungen Mitglieder der Goldenen Morgenröte führte erneut zu heftigen Disputen in Presse und  den Social Media des Landes, diesmal über „das politisch richtige Verhalten“ gegenüber der Mordtat und den toten Mitgliedern und Aktivisten der Nazipartei. Während die Mordtat von allen Parteien deutlich verurteilt und der Tod bedauert wurde, sprachen einige Politiker und Journalisten von der moralischen Pflicht und der politischen Notwendigkeit, um die jungen Rechtsextremisten  in gleicher Weise zu trauern, wie man es in dem Fall des im September von der Goldenen Morgenröte ermordeten jungen Antifaschisten Pavlos Fyssas getan hat – „schließlich waren alle Opfer politisch motivierter Gewalttaten“, so die Begründung. In diesem Zusammenhang wurden Begriffe wie „Rot-braune Faschisten“ und „Schwarze Linke“ verwendet und für Empörung gesorgt. (Nach neustem Stand der Ermittlungen schließt die Polizei nun aus, dass es sich bei dem Mord an den zwei Mitgliedern der Goldenen Morgenröte um ein politisch motiviertes Verbrechen handelt.)
In seiner wöchentlichen Kolumne in der Zeitung „Angelioforos tis Kyriakis“ nahm am Sonntag Prof. Georgios Tsiakalos zu dieser Auseinandersetzung Stellung. Der Artikel fand große Verbreitung und Zustimmung in den Social Media.





Georgios Tsiakalos

Trauer und Bedauern




In den Jahren des Bürgerkrieges waren die schmerzlichsten Momente für die Angehörigen der Soldaten der (kommunistischen) Demokratischen Armee die, wenn die Jeeps auf die Plätze der Dörfer kamen, anhielten, und die Einwohner aufgefordert wurden, die “getöteten Banditen“ zu besichtigen. Vor allem jene Menschen, die Angehörige in der Demokratischen Armee hatten, näherten sich mit der Angst, was und wen sie finden würden. Und sie entfernten sich mit einem Aufatmen, wenn auf der Ladefläche nicht ihr Kind, Vater, Bruder oder Schwester waren. Aber dieses Aufatmen verwandelte sich schon bald in Gewissensbisse. “Wie ist es möglich, dass du erleichtert bist, wo doch bei den Toten so viele Bekannte sind, und selbst die Unbekannten zu „deinen Leuten“ gehören?“ war der quälende Gedanke. Über meine Mutter sagte man, diese Gedanken führten dazu, dass ihre Gesichtszüge versteinerten und ihr Herz erkrankte.

So verhalten sich die Menschen gegenüber dem Tod. Empfindsam, bedauern sie den Tod aller, aber um die eigenen Menschen trauern sie. Und wenn man um entfernte Verwandte oder Bekannte trauert, dann ist diese Trauer entsprechend ihrer Einschätzung des Lebens und des Werkes der Verstorbenen. Aus diesem Grunde ist unser Ausdrucks des Beileides an die Hinterbliebenen für alle gleich, aber der Nachruf ist unterschiedlich, weil er sich auf das Leben der Verstorbenen bezieht. Ein Nachruf ist eine öffentliche Erklärung darüber, was wir im Leben wertschätzen, was ein Mensch sein soll und wie wir uns die menschliche Gesellschaft wünschen.

Alles dieses ist ein Teil unserer Kultur, und wir gehen davon aus, dass dies selbstverständlich ist auch dann, wenn der Tod mit der Politik zusammentrifft. Aber in den vergangenen Tagen erlebten wir etwas anderes. Wiederholt wurden wir im Namen der Menschlichkeit, der Demokratie und des „echten Antifaschismus“ dazu aufgefordert, unsere Logik und unsere Gefühle dem Ausspruch des Apostels Paulus “wer gestorben ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde“ (Römer 6,8) unterzuordnen, welcher von vielen Menschen völlig falsch so interpretiert wird, als erlöse der Tod den Verstorbenen und macht ihn geachtet und unangreifbar für die Lebenden. Wir wurden beschuldigt, weil wir um Pavlos Fyssas trauerten und auf der anderen Seite für die ermordeten Mitglieder der Goldenen Morgenröte lediglich „Mitgefühl ausdrückten“. Ja, es stimmt, genauso haben wir uns verhalten, weil nur das  ungeschminkte, ohne jegliche Hintergedanken, differenzierte Verhalten gegenüber den Toten wahre Achtung gegenüber dem Tod  zeigt– indem es die Bedeutung der Art und Weise hervorhebt, wie wir unser kleines Leben bewusst gestalten.  


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